Kaiser und Sultan

Nachbarn in Europas Mitte 1600-1700

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Xenia · Oktober 2019

Kulturbegegnung im Krieg? Ja, das gibt’s tatsächlich – bei den Nachbarn in Europas Mitte. In der Großen Landesausstellung im Badischen Landesmuseum könnt ihr einen Blick auf die Geschichte der kulturellen Austauschbeziehungen des 17. Jahrhunderts werfen und so in die Geschichte Badens und deren europäischen Dimensionen eintauchen. Wir haben an einer Führung durch die Ausstellung teilgenommen und ich kann euch garantieren: Diese Ausstellung solltet ihr euch nicht entgehen lassen!

Kulturbegegnung im Krieg

Vor uns steht eine spannende Führung, bei der wir tiefe Einblicke in das sogenannte „lange 17. Jahrhundert“ erhalten werden. Die Ausstellung könnt ihr auch mit einem Story-Guide erkunden und dabei einem spannenden, fantasievoll ausgeschmückten Dialog zwischen der ungarischen Freiheitskämpferin Ilona Zrínyi (1643–1703) und dem deutschen Schriftsteller Eberhard Werner Happel (1647–1690) lauschen.

Voller Neugierde beginnen wir nun die Führung im oberen Stockwerk, denn: Erstmals führt die Sonderausstellung im Rundgang über gleich zwei Stockwerke des Schlosses!

Begrüßt werden wir von einem lustigen Animationsfilm, welcher uns im Meme-Style einen historischen Abriss mit all den Kriegen und Kulturkontakten liefert. Mit dem Schauspieler und Komiker Christian Tramitz als Sprecher soll der Film Lust und Geschmack auf die Ausstellung machen – und das ist definitiv gelungen! Unser Weg führt vorbei an einer großen Landkarte mit einem Zeitstrahl, wodurch wir vorab einen geographischen und geschichtlichen Überblick erhalten. Jetzt kann’s also losgehen!

Auf unserer Führung erfahren wir, dass es neben den Konflikten auch einen regen Austausch der Kulturen gab, und wir erkennen schnell, dass Kulturen nicht nebeneinander existieren können ohne sich gegenseitig zu beeinflussen. Diese Verbindung der Kulturen wird bei Betrachtung der einzelnen Exponate schnell sichtbar. So lässt sich im Design vieler Exponate ein gewisser interkultureller Mischstil erkennen: Auf dem Dekor osmanischer Keramik treiben holländische Tulpen ihre Blüten, lateinische Inschriften werden von orientalischen Arabesken durchdrungen. Zu bewundern gibt es auch typisch osmanische Gebetsteppiche, die wiederum dem Schmuck christlicher Kirchen dienten, wodurch das Fremde zur eigenen Identität gemacht wurde. 

Neue Modeerscheinungen

Markgraf Leopold Wilhelm von Baden als Osmane verkleidet? Ja, auch dieser ehrenwerte Mann fand wohl Gefallen an dem osmanischen Modestil.  An den mitteleuropäischen Höfen wurde es vor allem nach Ende der Türkenkriege zu einem beliebten Freizeitspaß, sich mit Turbanen, wallenden Gewändern und Schnabelschuhen osmanisch zu kostümieren. Auch die Frauen kleideten sich gerne in exotischen Trachten, wodurch sich die Faszination für das exotische Fremde zeigt. Während der Führung erfahren wir aber auch, dass die damalige Vorstellung vom Fremden auf starken Stereotypen beruht – vergleichbar mit dem Stereotyp Deutsche und Lederhosen.

Bewundern konnten wir auch die raffinierten Automatenuhren und kostbares Geschirr mit orientalischen Mustern, welche beliebte prunkvolle Geschenke unter europäischen Adligen wurden.

Der Siegeszug der „schwarzen Suppe“

Die „schwarze Suppe“ – Diese eher wenig appetitliche Bezeichnung bekam die langlebigste und populärste Hinterlassenschaft der Türkenkriege. Das hat den Siegeszug des Kaffees aber zum Glück nicht aufhalten können: Kaffeetrinken wurde erst zögerlich, dann immer begeisterter übernommen und der Kaffee drang inklusive der dazugehörigen Trinkgefäße sogar deutlich weiter als die osmanischen Eroberer, die ihn mitbrachten, in den Norden vor. Für den mobilen Kaffeegenuss gab es im 17. Jahrhundert sogar schon lederne Faltbecher - Wer den beliebten Coffee to go für eine innovative Neuerfindung hält, wird in der Ausstellung also eines Besseren belehrt.

Ein eindrucksvolles Konzept

Die Führung durch die unglaublich atmosphärisch konzipierte Ausstellung ermöglichte es mir, einen neuen und gleichzeitig tiefen Einblick in die kulturellen Verflechtungen des 17. Jahrhunderts zu erlangen. Ohne sich störend in den Vordergrund zu drängen, informieren prägnante, reduzierte Texte über einzelne Exponate und geschichtliche Hintergründe. Der Fokus ruht somit auf den Objekten und der eindrucksvollen Raumgestaltung. Auch mediale Inszenierungen und Interaktionen kommen in der Ausstellung nicht zu kurz: Der Story-Guide, Filme, interaktive Stationen zum Thema Flucht und Migration und Stelen mit Hörstationen machen die Geschichte lebendig. Gemälde, prächtige Waffen, Rüstungen und zahlreiche weitere prunkvolle Exponate zeigen auf rund 1600m² die ganze Bandbreite der vielseitigen Einflüsse zwischen dem Osmanischem Reich und seinen mitteleuropäischen Nachbarn.  

Mein persönlicher Favorit

Eines meiner persönlichen Highlights ist das große „Blaue Zelt“ aus Krakau – ein echter Blickfang! Und auch das Gewicht des Zeltes ist mächtig: Wir erfahren, dass dieses Prunkzelt wohl so schwer ist, dass beim Aufbau 10 Männer benötigt wurden, um den zusammengefalteten Stoff des Zeltes in das Museum zu tragen. Das außen blaue, innen bunt ornamental bestickte Zelt vermittelt einen stolzen Eindruck von der textilen Gemütlichkeit des Orients. Hier lässt es sich in einem paradiesisch anmutenden osmanischen Ambiente den Versen des großen islamischen Mystikers Mevlana (1207-1273) lauschen.

Fazit

Zu den Stärken der Großen Landesausstellung zählt zweifellos, dass sie nicht nur Ereignisgeschichte aufrollt, sondern auch den Mehrwert plurikultureller Gesellschaften deutlich macht. In der Ausstellung kann man viel dazu lernen und ich kann jeden nur herzlich dazu einladen, sich selbst ein Bild zu machen und in die Geschichte Badens und Europas einzutauchen. Die Ausstellung ist ein einzigartiges Erlebnis und definitiv einen Besuch wert!

Kaiser und Sultan – Nachbarn in Europas Mitte 1600-1700

Badisches Landesmuseum, Schloss Karlsruhe

19.10.2019 – 19.04.2020