Digitaltheater zum Mitmachen
KulturTalk mit Kevin Barz
Mit Beginn der Spielzeit 2024/25 ist am Badischen Staatstheater der neue Bereich Digitaltheater ins Leben gerufen worden. Kevin Barz, von Haus aus Opern- und Schauspielregisseur, leitet das Digitaltheater und berichtet Julia und Jana im KulturTalk, wie seine Arbeit konkret aussieht und wie sich Interessierte am Digitaltheater beteiligen können. Denn die Möglichkeiten sind zahlreich und vielfältig!
Die Karlsruher Kultur bietet vielfältige Möglichkeiten für Interessierte, sich kreativ auszutoben und Ideen einzubringen. In der Reihe "Kultur zum Mitmachen" befragen Julia und Jana Karlsruher Kulturschaffende zu ihren Mitmach-Angeboten und ihren persönlichen Erlebnissen.
Viele können sich unter dem Begriff ja erst einmal nicht viel vorstellen. Was ist Digitaltheater überhaupt?
Das wird ganz schnell begreifbar, wenn man zu uns ins Theater kommt. Digitaltheater will sich mit den dringenden Fragestellungen auseinandersetzen, die Digitalität und Technologie und in den letzten fünf Jahren so mit sich gebracht haben und deren Effekten auf uns Menschen und die Gesellschaft. Es geht aber nicht um dröges Diskurstheater. Wir wollen Digitalität auf der Bühne lebendig werden lassen. Wir behalten das bei, was Theater ausmacht: das Publikum muss zu uns in den Saal kommen, es ist kein Streaming. Anstatt das Theater vom Analogen ins Digitale zu übersetzen, wollen wir das Gegenteil machen. Zuschauer:innen begegnen auf der Bühne Performer:innen, nur die Thematiken kommen aus der Digitalität. Wir führen weniger den Kanon auf – Shakespeare, Schiller oder Goethe – dafür mehr eigene Stücke, die sich direkt mit unserer Lebensrealität auseinandersetzen.
Welche Stücke werden in nächster Zeit gespielt?
Da gibt es zwei Beispiele, die sehr gut erklären, was wir am Digitaltheater vorhaben. Was schon längst läuft ist „Paradise Found“. Das ist eine Oper in zwölf Episoden, die wir schreiben. Besonders ist, dass da kein Librettist sitzt und die Oper schreibt, sondern es werden Interviews mit Karlsruher:innen geführt. Dafür gibt es eine Telefonnummer mit Mailbox, eine Mailadresse und man kann uns treffen. Wenn jemand eine gute Antwort auf die Frage „Wo ist dein Paradies?“ hat, kann er uns von seinem persönlichen Paradies erzählen und wir komponiere daraus eine Episode dieser zwölfteiligen Oper. Das nehmen wir im Theater auf, inszenieren das und bringen es wieder raus in die Stadt. Ab nächstem Jahr werden mehr und mehr Mixed-Reality-Stationen in der Stadt auftauchen, an denen man durch einen transparenten Bildschirm live in die Welt hineinschaut und die Inszenierung als Overlay sieht, wie bei Augmented Reality, nur dass man kein Smartphone braucht. Dabei hört man diese Opernepisode und war selber vielleicht Autor:in. Wir suchen auch noch Geschichten, meldet euch also gern!
Das andere Projekt ist die „Tagesshow“, die vor Kurzem erst Premiere hatte. Die findet im STUDIO statt und setzt sich mit der Lüge auseinander. Theater hat immer etwas mit Lüge zu tun: Wir wissen, die Schauspieler:innen auf der Bühne sind nicht die Rollen, die sie spielen, die Lüge ist also ein Grundmoment des Theaters. An dem Abend wollen wir forschen: Muss die Lüge immer schlecht sein? Wir leben in einer Welt, in der man die Nachrichten kaum noch einschalten mag, weil sie runterziehen und ein Knoten im Magen sind. Man will sich informieren, aber es tut irgendwie weh. Wir wollen im Theater probieren: Können wir zusammen mit dem Publikum nicht eine Ausgabe der Tagesschau fälschen mit nur guten Nachrichten? Dafür nutzen wir alles, was das Theater kann, von Perücke über Kostüm alle analogen Theater-Lügen, aber im letzten Schritt wenden wir etwas Neues an: einen live Deep Fake. Auf der Bühne verwandelt sich unser Schauspieler in einen sehr bekannten Tagesschau-Moderator. Das Publikum wählt am Abend die Nachrichten aus, die verlesen werden. Gemeinsam kreieren wir eine große Lüge und stellen die Frage: Was wäre, wenn die Welt so aussehen würde - positiv?
Kann man dabei denn auch mitmachen? Wie läuft das ab?
Das ist ganz unterschiedlich. Am Digitaltheater wird Mitmachen immer ein Moment bleiben, denn Digitalität heißt Netzwerk, und das läuft immer in zwei Richtungen. Wer bei „Paradiese Found“ mitmachen möchte, ruft uns an, schreibt uns oder trifft uns. Infos dazu findet man auf unserer Homepage. Um mitzumachen, braucht man gar nichts. Bei der Tages-Show ist es noch einfacher: Man bringt einfach sein Handy mit. Normalerweise wird man ja am Anfang der Vorstellung gebeten, sein Handy auszuschalten. Im Digitaltheater ist es genau andersherum! Während der Vorstellung kann man per QR-Code einscannen und an der Umfrage teilnehmen, um die Nachrichten für die Tagesschau auszuwählen.
Neben dem Digitaltheater haben wir noch viel mehr Formate am Staatstheater, zum Beispiel „Kunst + Vermittlung“, das in dieser Form auch erst in dieser Spielzeit gegründet wurde. Da gibt es mehrere Beteiligungsformate, etwa die Sneak Peek für junges Publikum. Dafür können sich Kinder und Jugendliche zwischen zehn und 19 Jahren melden und zu einer Probe kommen, die dann begleitet wird. Bei der Tagesshow haben wir das zum ersten Mal gemacht, es war total klasse. Das Feedback der 15 bis 20 Jugendlichen aus dem Gespräch mit Kunst + Vermittlung konnten wir dann noch in den Proben umsetzen. Es ist weniger ein Testpublikum, sondern Expert:innen des Alltags, die uns etwas erzählen. Weiterhin gibt es das Dramakommitee und die Labore, in denen Menschen mitmachen können. Dabei sind aktuell 50 Karlsruher:innen zwischen neun und 86 Jahren, die Theater zum Thema Gerechtigkeit spielen. Es gibt außerdem Leseinseln im Stadtraum, insgesamt also unzählige Beteiligungsformate.
Gibt es Voraussetzungen, um auf der Bühne stehen zu können?
Bei den Laboren ist das wahnsinnig offen, da muss nur die Lust und das Interesse da sein. In der Statisterie und im sogenannten E-Chor, dem Extrachor, der den Chor manchmal verstärkt, muss natürlich eine gesangliche Grundbildung vorhanden sein. In der Statisterie sollte man zumindest ein bisschen Mut mitbringen. In der Tagesshow haben wir auch zwei Statist:innen auf der Bühne, die eine Band mimen müssen, aber auch das ist eine Lüge. Beim Statisterie-Casting war ganz wichtig, dass der Gitarrist nicht Gitarre spielen kann und die Schlagzeugerin nicht Schlagzeug. Da muss man sich trotzdem trauen, das auf der Bühne zu performen. Mut gehört also immer dazu, aber ich glaube, Mut entsteht immer aus Lust.
Habt ihr schon Pläne für zukünftige Projekte am Digitaltheater?
Wir haben Ideen für mindestens drei Spielzeiten, was gut ist! Diese Spielzeit werden wir uns noch mit dem „Zauberlehrling“ von Goethe auseinandersetzen. Auch wenn ich gesagt habe, dass wir uns nicht so viel mit Klassikern auseinandersetzen, der Zauberlehrling ist erst einmal nur ein Bild, das wir alle vielleicht noch aus der Schule kennen. Es ist ein langes Gedicht über einen Zauberlehrling, der keinen Bock hat zu putzen und deshalb den Wischmopp verzaubert, damit der die Arbeit macht. Das ist ein ziemlich gutes Bild für eine Form der Digitalität, die wir gerade zuhause mit KI erleben. Ich hätte auch echt gerne diesen Staubsaugerroboter! Den gibt es ja, und der Kühlschrank ist auch schon smart. Alle Haushaltsgeräte sind mittlerweile vernetzt. Die Frage ist, wie weit die KI mittlerweile in unseren Alltag vorgedrungen ist. Auch hier arbeiten wir mit Beteiligung der Stadt, dieses Projekt werden wir mit Wissenschaftler:innen vom KIT erarbeiten. Wir sinnieren also gar nicht selber, wie es mit der KI aussieht, sondern holen uns das Fachwissen von Expert:innen und verbinden Kunst und Wissenschaft. Damit reichen wir auch in die Stadt hinein und fragen, was Karlsruhe ausmacht – das ist das KIT. Das planen wir gerade schon. Über die nächste Spielzeit darf ich leider noch nicht sprechen, weil da noch nichts veröffentlicht ist, aber da wird es immer wieder starke Überscheidungen geben zwischen dem, was wir auf unseren Handys machen und dem, was auf der Bühne passiert.
Gibt es denn bestimmte Einstiegstermine? Und wo finde ich die Informationen?
Unser großes Mitmach-Projekt „Paradise Found“ ist ja schon gestartet und gestaltet. Wenn man auf der Homepage des Staatstheaters unter den Sparten das Digitaltheater findet, findet man auch einen Reiter „Paradise Found“. Dort findet man alle Kontaktdaten. Am besten sollte man sich jetzt sofort melden, solange es noch offene Geschichten gibt. Bei Kunst + Vermittlung gibt es eine offene Sprechstunde freitags von 11 bis 15 Uhr im Theater-Schaufenster in der Kaiserstraße. Da kann man einfach reinspazieren und mit den Kolleg:innen sprechen, die einen bestens beraten, welche Formate es gibt und wo man dabei sein will.
Was beim Digitaltheater auch immer wichtig ist, ist dass wir versuchen, ein neues Publikum zu akquirieren. Wir haben das Projekt vom Staatstheater Oldenburg mitgebracht, wo es unter dem Titel „Technical Ballroom – Theater der Digital Natives“ lief. Das nennen wir hier nicht mehr so, Digitaltheater ist bedeutend neutraler, weil wir alle ansprechen wollen. Aber natürlich ist das ein Theater für Digital Natives. Alle, die sich als das empfinden, werden ihre Themen wiederfinden. Wir ziehen unsere Inhalte mehr aus Youtube als aus Literatur. Ich glaube, das ist spannend für eine junge Generation, die Bock hat, Theater noch mehr in ihre Lebensrealität hineinrutschen zu sehen. Es ist aber offen für alle! Wir machen keine Alterskontrolle am Eingang, auch wenn man an den Thematiken schnell sieht, wen es adressiert.
Ihr habt ja vorhin gefragt, was man mitbringen muss, wenn man mitmachen will. Aufs Digitaltheater gesprochen: Man muss gar nichts mitbringen. Unsere Abende sollen Plug and Play funktionieren und sich selbst erklären. Man muss kein Programmierer oder Gamer sein, um gut unterzukommen. Wir starten alle gemeinsam bei null, wenn die Vorstellung losgeht und sind hoffentlich alle auf demselben Stand, wenn der Abend vorbei ist.
Vielen Dank...
dass du uns über das Digitaltheater berichtet hast. Wir wünschen dir viel Erfolg für die kommenden Projekte und allen Beteiligten viel Spaß!