„gute aussichten 2023/2024“ in der Städtischen Galerie Karlsruhe
Die Vielfalt junger Fotografie entdecken
Gute Aussichten verspricht die neue Foto-Ausstellung in der Städtischen Galerie Karlsruhe. Das klingt einladend: Wir machen uns auf zu einem Besuch im Hallenbau A an der Brauerstraße, um zu erkunden, was es in der zeitgenössischen Fotografie so alles zu entdecken gibt.
Gleich zu Beginn lernen wir: „gute aussichten“ ist ein Projekt, bei dem schon zwanzig Jahre lang die besten Arbeiten von Nachwuchs-Fotograf*innen ausgezeichnet werden. Daraus entsteht eine Ausstellung, die in unterschiedlichen Formen an verschiedenen Standorten gezeigt wird. In diesem Jahr gastieren die Werke des Jahrgangs 2023/24 zum ersten Mal auch in Karlsruhe, nachdem es im vergangenen Jahr schon ein gemeinsames Projekt mit dem Schwerpunkt deutsch-mexikanischer Beziehungen gegeben hatte.
Eine kleine Zeitreise durch die Fotografie
Begleitet werden die kleinen Ausstellungen der sieben Künstler*innen aus diesem Jahr von den Highlights der letzten Jahrgänge. Gleich zu Beginn der Ausstellung betritt man den großen, offenen Lichthof. Hier sind Editionen der prämierten Werke zu sehen, die zu einem Rundgang durch die letzten Jahre der jungen Fotografie einladen. Wie sich die Werke verändert haben, zeigt auch die Entwicklungen in unserer Lebenswelt: Themen wie Soziale Medien oder Künstliche Intelligenz tauchen in den letzten Jahren immer mehr auf und verändern die Wahrnehmung der Fotograf*innen. Beim Schlendern entdeckt man immer neue Gemeinsamkeiten und aufkommende Trends.
„gute aussichten – junge deutsche fotografie 2023/2024“, Ausstellungsansicht Städtische Galerie Karlsruhe, Foto: Anne-Sophie Stolz
Kreativ-Sein und Entspannen erwünscht
Wer sich einen Moment Zeit nehmen will, um selbst kreativ zu werden oder sich eine Weile auf einem Sitzsack auszuruhen, kann in der Mitte des Raumes die Kids Zone erkunden. Hier warten eine Pinnwand und Materialien für eigene Zeichnungen, aber auch Lesestoff auf Jung und Alt. Passend zur Ausstellung finden hier auch immer wieder Begleitveranstaltungen für Groß und Klein statt. Ein Blick in das Veranstaltungsprogramm der Städtischen Galerie lohnt sich also!
Wir begeben uns aber erstmal in die Welt der Fotograf*innen des Jahrgangs 2023/24, die jeweils mit einer eigenen kleinen Ausstellung im Rundgang um den Lichthof herum angeordnet sind. In ihren Ecken kann man so ganz in das jeweilige Thema der Künstler*innen eintauchen. Und die könnten unterschiedlicher kaum sein.
Vom Mittelmeer in den nächtlichen Wald
Mit „Contrapasso“ von Massimiliano Corteselli reisen wir fotografisch in den Mittelmeerraum. Er betrachtet vorsätzlich gelegte Waldbrände in mystisch wirkenden, packenden Fotografien, die sowohl die Landschaft mit und nach den Flammen ursprünglich und gefährlich in Szene setzen, als auch die Menschen, die in dieser Landschaft leben.
Maya Vieths Arbeiten unter dem Titel „Während wir schlafen, ziehen die Wölfe um die Häuser“ nehmen uns dagegen mit nach Ostdeutschland und folgen den Spuren der Wölfe, die dorthin in den letzten Jahren zurückgekehrt sind. Durch Aufnahmen von Überwachungskameras, aber auch von Wolfsdarstellungen zeigt sie weniger die Wölfe an sich als die Blicke der Menschen auf den wiedergewonnenen tierischen Nachbarn und erzählt damit auch viel über die Region und die Bewohner*innen.
Werk von Massimiliano Corteselli in „gute aussichten – junge deutsche fotografie 2023/2024“, Ausstellungsansicht Städtische Galerie Karlsruhe, Foto: Anne-Sophie Stolz
Neue Blicke auf die eigene Identität
Ein aktuelles Thema nimmt auch Lia Meret Lehmkuhl mit „Synthetic Embrace“ in den Blick. Die Künstlerin hat mit „Betty Blizz“ eine Kunstfigur erschaffen, in der sie auch in den Sozialen Medien aktiv ist und mit der sie gleichzeitig die Mechanismen der Selbstdarstellung online aufdeckt. Influencer inszenieren sich als Vorbilder und schaffen eine bisher so nicht dagewesene scheinbare Nähe zu ihren Followern, die nicht nur zur Selbstoptimierung nach unerreichbaren Maßstäben inspirieren, sondern gerade junge Menschen durch vorgespielte Freundschaft oder sogar Liebe manipulieren.
Sehr persönlich ist auch die Installation „Das letzte Zeichen“ von Béla Avi Beinhold. Bestehend nur aus einem Stuhl, einer Audiospur und einer einzelnen, verschwommen erscheinenden Fotografie inszeniert der Künstler ein eindrückliches Erlebnis: den Fund einer nicht identifizierbaren Leiche. Eindrücklich wirken die Elemente zusammen und verdeutlichen, wie ein solches Erlebnis den Blick auf die Welt verändern und den Alltag aufbrechen kann, in dem bestimmte grausame Realitäten einfach ausgeblendet werden.
Eine düstere Atmosphäre zieht sich auch durch die Arbeiten unter dem Titel „Die Psyche, der Körper und die Umwelt sind untrennbar miteinander verbunden und beeinflussen einander“ von Denisa Poteca. In einer Installation aus Videos, mehreren Fotos, einer Zeichnung am Boden und einer Foto-Reihe, in der die Künstlerin sich an vierzehn Tagen in Isolation selbst fotografiert, nimmt sie ihr Leben mit ihrer bipolaren Störung selbst unter die Lupe. Vor der Kamera wird sie zum Untersuchungsobjekt: Sieht man ihrem Gesicht ihre Stimmung an? Wie sehr wird sie durch ihre Krankheit als Person bestimmt? Eindrücklich sind auch ihre beiden Portraits, die durch ein Wasserglas fotografiert wurden und so den Eindruck eines unter Wasser schwebenden, toten Körpers erwecken – einem Körper direkt in der Umwelt.
Werk von Lia Meret Lehmkuhl in „gute aussichten – junge deutsche fotografie 2023/2024“, Ausstellungsansicht Städtische Galerie Karlsruhe, Foto: Anne-Sophie Stolz
Werk von Bela Avi Beinhold in „gute aussichten – junge deutsche fotografie 2023/2024“, Ausstellungsansicht Städtische Galerie Karlsruhe, Foto: Anne-Sophie Stolz
Künstliche Intelligenz trifft auf Zeitgeschehen
Eine auf den ersten Blick ähnlich anmutende, doch völlig anders angelegte Fotoreihe mit ähnlichem Motiv zeigt auch Matthias Grund in „Other Images“. Der Künstler untersucht die Möglichkeiten und Grenzen Künstlicher Intelligenz und hat mit ihrer Hilfe unter anderem Variationen eines Fotos einer Plastikblume erstellen lassen, die er nun nebeneinander zeigt. Auf diese Weise nimmt er die Betrachtenden scheinbar spielerisch mit in die Tiefen eines hochaktuellen Diskurses: Wie entsteht eigentlich Kunst im digitalen Raum – und welche Rolle spielen Maschinen dabei?
Den Abschluss der Reihe bildet „No Georgian Dreams“ von Lea Greub. Die Fotografin begleitet schon jahrelang die Situation junger Menschen in Georgien, die sich nach Veränderung im Land sehnen und unter dem bestehenden Regime leiden, das ihre Aufbruchstimmung gewaltsam unterdrückt. Mit diesem sehr politischen, realistischen Bereich beenden wir den Rundgang und landen wieder im hellen Lichthof.
Werk von Denisa Poteca in „gute aussichten – junge deutsche fotografie 2023/2024“, Ausstellungsansicht Städtische Galerie Karlsruhe, Foto: Anne-Sophie Stolz
Werk von Matthias Grund. „gute aussichten – junge deutsche fotografie 2023/2024“, Ausstellungsansicht Städtische Galerie Karlsruhe, Foto: Anne-Sophie Stolz
gute aussichten selbst erleben
„gute aussichten“ ist in jedem Fall ein beeindruckendes Erlebnis: Die sieben kleinen Ausstellungen bieten für jedes Interesse Anknüpfungspunkte und zeigen gut die Bandbreite der zeitgenössischen Fotografie. Von Weltpolitik über ganz persönliche Konflikte, von der menschlichen Psyche bis hin zur modernen Technologie sind sämtliche Aspekte des modernen Lebens vertreten. Beeindruckt verweilen wir noch eine Weile in der Galerie der Vorjahressieger*innen und werden sicher noch lange an den Besuch zurückdenken.
Zum Glück gibt es schon jetzt Grund zur Vorfreude: Mehr zu den jungen Künstler*innen kann man im Rahmen des Begleitprogramms und bei Instagram über die Städtische Galerie erfahren. Es lohnt sich auf alle Fälle, diese Talente weiter im Blick zu behalten! Außerdem gibt es selbstverständlich auch bei dieser Ausstellung wieder viele Möglichkeiten, selbst kreativ zu werden. Schaut einfach mal rein und lasst euch für euren Besuch inspirieren!
Städtische Galerie Karlsruhe
Lorenzstraße 27
76135 Karlsruhe
www.staedtische-galerie.de