Film und Nachhaltigkeit
Alle sprechen über Nachhaltigkeit. Aber was bedeutet das eigentlich konkret - und vor allem für die Karlsruher Kultureinrichtungen? In ihrer neuen Interview-Reihe "Nachhaltigkeit in der Kultur" sprechen Julia und Jana mit Expert:innen zu diesem Thema. Die Interviews werden immer am letzten Freitag des Monats im Campusradio beim Podcast Kultur-Kaffeekranz gesendet. Wer die Sendung verpasst hat, kann sie jederzeit hier nachhören oder auf unserem Blog nachlesen.
#6: Film und Nachhaltigkeit: Interview mit Dr. Oliver Langewitz
Dr. Oliver Langewitz ist Geschäftsführender Vorstand des Filmboard Karlsruhe und zusätzlich ausgebildeter Green Consultant. Im Interview mit Jana und Julia berichtet er, welche spannenden Projekte er schon umsetzen durfte, welchen Stellenwert Nachhaltigkeit bei der Filmproduktion einnimmt und wie Filmproduktionen noch nachhaltiger werden können.
Was genau ist eigentlich das Filmboard? Was sind deine Aufgaben dort?
Das Filmboard Karlsruhe ist ein Filmemacher*innen-Netzwerk von Freelancern, Kleinstunternehmen, Produktionsfirmen, Regisseur*innen, Drehbuchautor*innen und vielen mehr, die am Standort Karlsruhe arbeiten. Wir realisieren selbst Projekte, etwa Dokumentarfilme oder Kurzfilme, und betreuen externe Filmproduktionen, die für Filmdrehs nach Karlsruhe kommen. Das passiert häufiger, als man denkt, zum Beispiel für Kinofilme, Serien oder für Projekte von Studierenden oder Nachwuchs-Musiker*innen, die Musikclips hier drehen wollen. Da werden wir angesprochen, wenn es um Drehgenehmigungen oder das Team geht, zum Beispiel ein Kameramann oder Statist*innen gebraucht werden, oder um eine Location wie eine Bar der eine Villa. Hier vermitteln wir. Ein weiterer wichtiger Baustein sind unsere Veranstaltungen: Das Flaggschiff sind die Independent Days – Internationale Filmfestspiele in Karlsruhe, aber auch kleinere Formate wie die FilmLounge bei „Schwein gehabt!“, der Langen Nacht der Kunst und Kultur auf dem Alten Schlachthof.
Welche Rolle spielt dabei das Green Office?
Das Thema „Green Shooting“ verfolgen wir schon seit einigen Jahren. Seit 2018 haben meine Mitarbeiterin Nadine Knobloch und ich eine Weiterbildung zum Green Consultant bei der Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg (MFG) gemacht und haben gelernt, was man für eine nachhaltigere Filmproduktion beachten muss. In diesem Rahmen haben wir beim Filmboard auf dem Alten Schlachthof auch gleich das Green Office installiert, denn die Hauptfunktion des Green Consultants ist, dass man uns ansprechen kann und wir Filmproduktionen dann beraten, was man verändern kann, wo wir heute sind und wo wir uns hin entwickeln. Oft entsteht dabei eine Ist-Soll-Analyse: Wie produzieren wir momentan? Was müssten wir ändern, um weniger CO2-Emmissionen zu produzieren? Dabei nehmen wir entsprechende Software der MFG zu Hilfe, um das am Ende auch messen zu können. Das Wichtigste sind aber die Maßnahmen. Eine der größten Thematiken ist dabei die Anreise. Eine Produktion findet oft an vielleicht 30 unterschiedlichen Locations statt. Die Filmschaffenden müssen überhaupt erst einmal anreisen, was am meisten CO2-Ausstöße verursacht. Hier muss man schauen, wieviel man auf die Schiene und weg vom Auto bekommen kann, was gerade bei Stars herausfordernd sein kann, die anstelle eines Zwei-Stunden-Flugs aus Berlin dann für fünf oder sechs Stunden mit der Bahn anreisen müssen. Wichtig ist dabei dann das Erklären, damit man nicht nur vorschreibt, was die Leute zu tun haben, die als erwachsene Bürger*innen bestimmte Prozesse über Jahre erlernt haben, sondern aufzeigt, warum Dinge anders gemacht werden sollen.
Auf welche Bereiche schaut ihr als Green Consultants?
Wie gesagt ist die Anreise ein Thema, damit verknüpft dann auch die Hotellerie. In Deutschland haben wir ja die Situation, dass es nahezu keine Filmproduktion gibt, die nicht auf irgendeine Weise vom Bund oder Land gefördert ist. Die Fördereinrichtungen haben eine Vereinbarung mit den großen Playern, den Fernsehsendern, Constantin Film oder der UFA, abgeschlossen, sodass man als Produktionsfirma dokumentieren muss, nachhaltig zu drehen und bestimmte Standards einzuhalten, um überhaupt Förderung zu erhalten. Daher braucht man auch Green Consultants, die prüfen, was man optimieren kann. Es geht zum Beispiel auch um die Verpflegung am Set, denn man isst ja nicht in einem Restaurant oder bringt sich Essen mit, alles findet am Set statt. Die Verpflegung sollte regional, saisonal und bio sein. Auch mit rein veganer Verpflegung gab es Versuche, dabei sind jedoch vor allem Gewerker an die Decke gegangen, die für ihren harten Knochenjob ihr Schnitzel haben möchten. Hier sollte man – obwohl es ein Kostenfaktor ist – schauen, dass das Fleisch am Set zumindest Bio-Qualität hat und idealerweise mit einem Tierwohl-Label ausgezeichnet. Wir versuchen aber zu forcieren, dass es auch viele leckere vegetarische und vegane Gerichte gibt, gerade wenn man es nicht so benennt: Pommes sind schließlich auch vegan!
Ein großes Thema ist auch Müllvermeidung. Beim Kulissenbau sollte mit nachhaltigen Materialien gearbeitet werden. Ein Negativ-Beispiel war "Bullyparade - Der Film": Damals wurden für einen zweiminütigen Sketch zwei LKWs mit Styropor-Quadern verwendet, die zu einem Berg zusammengeklebt und angesprayt wurden. Danach war alles Müll. Wenn man überlegt, wie viele Jahrtausende Styropor im Abbau benötigt, muss man nach alternativen Materialien schauen. Das ist für die Kulissenbauer eine Herausforderung, weil sie die alten Materialien kennen, aber wenn man Neues vorstellt und zeigt, dass es nicht kostenintensiver und wahnsinnig gut zu bearbeiten ist, steigen die meisten gern um.
Technik ist auch ein wichtiges Thema. Bei einem großen Set hatte man früher riesige Tageslicht-Leuchten, die sehr stromintensiv waren, was Beleuchtung zu einem Stromfresser am Set machte. Moderne Technologien sind etwa LEDs, die nicht nur weniger Strom verbrauchen, sondern auch leichter und so schneller aufzubauen sind. Teilweise kann man auch mit Reflektorensystemen arbeiten. Manche Reflektoren können sich nach dem Sonnenstand richten, verwenden also unsere größte natürliche Lichtquelle, die Sonne. Hier ist man total kreativ und findig. Da die Filmindustrie so früh angefangen hat, können hier sicher auch andere Kultureinrichtungen oder auch Branchen von ihr lernen.
Wie stark schätzt du das Interesse in der Branche an dem Thema Nachhaltigkeit ein?
Mittlerweile ist es sehr viel leichter geworden, zu überzeugen. Unsere Gesellschaft ist sich ihrer Verantwortung immer stärker bewusst geworden, gerade in den letzten vier bis fünf Jahren, zum Teil sicher auch durch unsere Arbeit. Man muss weniger erklären, wenn man ans Set kommt und Themen anspricht, und es gibt auch immer günstigere Systeme, sodass man nicht mehr den Diesel-Generator zur Stromerzeugung benutzt, sondern Generatoren mit Akkus oder sogar mobile Solaranlagen. Das hat sich sehr gut weiterentwickelt. Ein tolles Argument ist natürlich, dass es nicht unbedingt teurer ist, sondern auch kostengünstiger sein und Personalkosten sparen kann. In manchen, eher traditionellen Bereichen muss man noch etwas Erklärungsarbeit leisten, aber auch das hat sich verbessert. Und wenn man grün produzieren muss, dann hat man natürlich auch den entsprechenden Druck, dass man sonst keine Förderung bekommt und gar nicht produzieren kann. Es funktioniert nicht immer zu 100% und man muss individuell schauen, manche Dinge lassen sich auch nicht mit alternativen Möglichkeiten umsetzen. Das ist dann aber auch in Ordnung.
Gibt es ein besonders spannendes Projekt, bei dem du schon beteiligt warst, bei dem besonders kreative Lösungen gefunden wurden?
Was ich besonders kreativ und anders finde, ist die Arbeit mit Reflektoren. Dabei hat man keine fünf oder sechs Leuchten mehr, sondern nur noch eine oder zwei, fängt das Licht wieder ein und simuliert die restlichen Leuchten. Das funktioniert wahnsinnig gut und am Ende hat man viel weniger Strom verbraucht, das finde ich sensationell. Auch innovativ fand ich, als wir ein Catering mit einem Solargrill realisiert haben. Das war ein ca. ein Meter großer Grill, in den man zum Beispiel eine Kartoffel packen konnte, und man brauchte dann natürlich Sonneneinfall. Es klappt aber auch, wenn der Himmel wolkenverhangen ist. Der Grill brutzelte dann vor sich hin und man hatte am Ende ein Catering durch Sonneneinstrahlung! Das machte natürlich total Spaß, so bekommt das Thema Nachhaltigkeit nochmal eine ganz andere Dimension. In den nächsten Jahren wird es so sicher in vielfältigen Bereichen Innovationen geben, die wir dann nutzen können. Toll finde ich auch, wenn man Second Hand arbeitet, gerade im Bereich Kostüme. Oft wird in großen Schneidereien alles neu produziert und hinterher weggeworfen, dabei kann man auch in Second Hand Shops oder in die Theater gehen und nachfragen. So kann wahnsinnig viel eingespart werden und man kann alles auch in weitere Produktionen überführen, die es nochmal benutzen können.
Wie könnte sich nachhaltiges Filmen in Zukunft noch entwickeln?
Da entstehen sicher viele innovative Technologien, etwa bei den Fuhrparks, wo wir oft noch über Zwischenlösungen wie bei der E-Mobilität sprechen. In den Anfängen war das problematisch. Es gab zum Beispiel die Anekdote, dass eine Produktion auf E-Autos umgestellt hat und im Schwarzwald drehen wollte, dann aber nicht daran gedacht hat, dass die Autos auch wieder geladen werden müssen. Dann standen die Autos ohne Lademöglichkeit mitten im tiefen Wald. E-Mobilität ist wichtig und in Bezug auf CO2-Emmissionen die bessere Technologie, aber sicher nicht die finale, da wird sich noch viel tun in den nächsten Jahren. Auch bezüglich der Speichermedien müssen wir von den Akkus mit seltenen Erden wegkommen, die in Afrika durch Kinderarbeit abgebaut werden müssen. Soziale Nachhaltigkeit ist hier auch ein ganz wichtiges Thema, das man nicht außen vor lassen darf. In Deutschland hatten wir auch die Situation, dass Drehtage zur Kostenersparnis auch mal zwölf, vierzehn oder sechzehn Stunden lang waren. Diese Drehtage können Familien oder Schauspielerinnen, Maskenbildnerinnen und mehr mit Kindern nicht realisieren. Hier wird nun genauer hingeschaut, auch mit politischem Druck durch die Filmförderung. Der muss aber, was die Teams angeht, so groß gar nicht sein: Wir haben für unsere eigenen Produktionen gesagt: Wir wollen acht bis zehn Stunden realisieren, denn danach macht es keinen Spaß mehr und ist nur noch Fließband-Arbeit. Damit fahren wir sehr gut, man muss nur dementsprechend planen. Deshalb bin ich hoffnungsfroh, dass sich da in den nächsten Jahren Einiges tun wird und bin gespannt auf die Technologien, die auf den Markt kommen.
Wie kann man euch erreichen, wenn man euch in eine Filmproduktion involvieren will?
Wir haben verschiedene Kanäle, natürlich auch eine Telefonnummer auf unserer Website. Ihr findet uns über Social Media bei Instagram oder Facebook. Wer uns direkt persönlich kennenlernen möchte: Es gibt auch einen monatlichen Film- und Medien-Jour Fixe auf dem Alten Schlachthof, zu dem man vorbeikommen und sein eigenes Projekt vorstellen oder andere Projekte kennenlernen kann. Außerdem haben wir einen Newsletter. Die meisten Anfragen beziehen sich darauf, dass jemand bei einem Filmprojekt mitmachen möchte. Dafür ist das eine tolle Zugangsquelle, wo man aktuell auch ein oder zwei Projekte findet, die wir betreuen und bei denen man noch mitmachen kann.
Vielen Dank...
...für das spannende Gespräch! Wir wünschen dir alles Gute für deine zukünftigen Projekte.