Was macht eigentlich...
eine Restauratorin für Medien- und Digitale Kunst am ZKM?
Ebenso bunt wie die Karlsruher Kultur ist die Vielzahl an Berufen in der Szene - manch einer skurriler als der andere. In dieser Reihe stellen wir Euch daher Stück für Stück einige Gesichter vor, die dafür sorgen, dass Oper, Ausstellung, Aquarium und Co. so vor unseren Augen erscheinen, wie sie es tun.
#6: Was macht eigentlich... eine Restauratorin für Medien- und Digitale Kunst am ZKM?
Morgane Stricot
... ist Restauratorin für Medien- und Digitale Kunst am ZKM. Was genau ihren Beruf ausmacht, erfahrt Ihr im folgenden Interview.
Sie sind von Beruf Restauratorin für Medien- und Digitale Kunst und arbeiten seit 8 Jahren am ZKM. Wie sind Sie in diesem Job gelandet?
Es ist eigentlich eine neue Disziplin. Digitale Kunstwerke sahen immer so neu aus, dass sich kein Museum oder keine Institution vorstellen konnte, dass diese Werke eigentlich viel fragiler waren als Gemälde oder Skulpturen. Wir befinden uns in einer Situation, in der der Erwerb eines Werkes und seine Konservierung fast gleichzeitig stattfinden.
Was meinen Hintergrund betrifft, wusste ich schon sehr früh, dass ich Restauratorin werden wollte. Zuerst wollte ich Wandmalerei-Restauratorin werden. Gleich nach dem Abitur ging ich auf die Kunstschule von Avignon in Frankreich. In den ersten zwei Jahren verbrachte ich alle meine Sommerferien auf Restaurierungsbaustellen in Belgien und Italien, um Kirchen zu restaurieren, die durch menschliche oder natürliche Einflüsse gelitten hatten. Jedoch, in meinem dritten Jahr besuchte ich einen Kurs über digitale Kunstgeschichte und Computerwissenschaften. Und das war die Offenbarung. Was diese Künstler mit Maschinen machen, ist einfach außergewöhnlich. Die Möglichkeiten sind endlos.
Ich machte meinen Abschluss und flog nach Orono, USA, um mich an dem Forschungsteam an der University of Maine anzuschließen. Die legendäre Begeisterung auf der anderen Seite des Atlantiks ist zwar wahr, aber ich wollte trotzdem zurück nach Europa. Ich kam zurück und begann ein Praktikum am ZKM. Dort fand ich zu meiner großen Freude eine außergewöhnliche Sammlung und vor allem ein wunderbares Team. Ich denke immer, dass es die Menschen sind, die ein Beruf interessant machen.
Was macht Ihnen in diesem Job in der Kultur besonders Spaß? Was sind die Herausforderungen?
Ich mag den Moment wenn wir dem Publikum erklären wie wir es möglich gemacht haben ein Werk wieder auszustellen. Denn oft wenn ein Werk zu uns kommt sind wir dem Mirakel nahe es wieder mit dem historischen Material zum Laufen zu bringen. Ich liebe es die Geschichte der Wiederauferstehung der Werke mit deren Wendungen zu erzählen. Auch wenn ich diese Geschichte oft ein wenig romantisiere, liebe ich es das Staunen der Menschen zu sehen und ihnen meine Begeisterung und Leidenschaft mitzuteilen.
Die Konservierung von digitaler Kunst ist eine interdisziplinäre Arbeit, eine Teamleistung. Unsere Arbeit mit dem technischen und wissenschaftlichen Team des ZKM, seien es InformatikerInnen, TechnikerInnen, ArchivarInnen, HistorikerInnen, RegistratorInnen oder ElektromechanikerInnen, besteht darin, die Verfügbarkeit digitaler Kunstwerke trotz Obsoleszenz- und Alterungsprozessen sowohl für Forscher als auch für die Öffentlichkeit sicherzustellen. Zuerst in ihrer historischen technologischen Umgebung und dann in der Vorbereitung auf den Übergang in die nächsten technologischen Umgebungen, die ihre Ausstellbarkeit gewährleisten.
Der Kern unserer Arbeit ist die Vorausschau. Wie Bruce Sterling einmal sagte: "Wenn ein Stück Software zerfällt, zerfällt es nicht wie ein Gemälde, langsam und nostalgisch. Wenn eine Software versagt, stürzt sie ab; das bedeutet den Blue Screen of Death". Es gibt mehrere Strategien und Praxen, die darauf abzielen, die Lebensdauer digitaler Werke in ihrem technologiegeschichtlichen Kontext zu verlängern: die Reparatur des Geräts mit Hilfe von Ersatzteilen, der Austausch gegen ein identisches Modell, die regelmäßige Inspektion des Betriebszustands, die redundante Datensicherung und schließlich die Lagerung und Handhabung unter guten Bedingungen.
Was war bisher Ihr persönliches Highlightprojekt?
Unser bisheriges Highlightprojekt als Team ist die Sammlungsausstellung.
Die Ausstellung "Writing the History of the Future" bietet eine einzigartige Möglichkeit frühe analoge und digitale Kunstwerke mit ihrer ursprünglichen Hardware und Software zu erleben: Videokunst, interaktive Laserdisc Installation, frühe virtuelle Realitäten, generierte Sound-Kunst und vieles mehr.
Diese Ausstellung ist nur möglich durch die lange Erfahrung des Technik- und Restaurierungsteams des ZKM im Umgang mit historischen Video- und Computersystemen. Wir fühlen uns verpflichtet der Öffentlichkeit und Forschung zu zeigen wie Künstlerinnen und Künstler heute veraltete Technologien genutzt haben, um sich künstlerisch auszudrücken.
Manchen BesucherInnen wird sicher aufgefallen sein, dass wir auch einige Kunstwerke technisch aktualisieren mussten. In Zusammenarbeit mit den Künstlerinnen und Künstlern suchen wir nach langfristigen Lösungen, um die Kunstwerke an die schnelllebigen Technologien anzupassen. Um die Werke für die Nachwelt zu erhalten müssen die Künstlerinnen und Künstler und das ZKM über neue Möglichkeiten der Erhaltung nachdenken.
Diese Ausstellung ist auch eine Chance für RestauratorInnen und TechnikerInnen die Meisterwerke der ZKM-Sammlung aus dem Depot zu holen, zu reparieren und zu dokumentieren. Im Vergleich zu Gemälden und Skulpturen können Medien und digitale Installationen bei der Lagerung nicht erhalten werden. Digitale oder Medien Kunstwerke die sich im Lager befinden sind sterbende Kunstwerke. Da sie nur in ihrer installierten Form existieren müssen sie ausgestellt werden, um erhalten zu werden. Ein Computer oder ein elektrisches System das über einen längeren Zeitraum ausgeschaltet bleibt kann manchmal nicht wiedererweckt werden.
Was wissen die meisten Menschen nicht über Ihren Beruf?
Wenn die BesucherInnen kommen um eine Ausstellung digitaler Kunst zu sehen denken sie: es ist einfach, es sind nur Computer. Aber wenn man ihnen sagt, dass etwa zwanzig Leute Tag und Nacht daran arbeiten diese Werke auf ihren Originalgeräten zum Laufen zu bringen, sind sie einfach sprachlos.
Das ZKM ist kein Computermuseum in dem Computer in Vitrinen gezeigt werden. Wir zeigen das Industrie- und Computererbe im Betrieb und vor allem zeigen wir, was die Möglichkeiten dieser Materialien waren und wie die Künstler sich diese Materialien angeeignet haben. Das ist ein lebendes Archiv!
Gemeinsam mit meinen KollegenInnen lernen wir mit Hilfe bestehender Wissensgemeinschaften am ZKM oder im Internet, wie man alte Computer oder Software nutzt. Wir entdecken nicht wieder, wir entdecken. Wir lernen neue Sprachen und Systeme, die vor 40 Jahren entwickelt wurden. In den letzten Jahren sind die technologischen Durchbrüche immer häufiger, schneller und zerstörender geworden. Der Verlust von Wissen ist exponentiell. Im Jahr 2015 veröffentlichte die NASA ein weltweiter Aufruf für ProgrammiererInnen, die in Assembler und Fortran programmieren können, um die Raumsonden Voyager 1 und 2 weiterhin zu warten. Die Leute wissen nicht, dass was wir am ZKM versuchen ein Wettlauf gegen die Zeit für die Weitergabe von Wissen ist. Die zwanzigjährige Erfahrung und dieses einzigartige Know-How des ZKM-Teams, welche für die zukünftige Präsentation und Restaurierung der Sammlung unerlässlich sind, muss von Generation zu Generation weitergegeben werden.
Was war bisher Ihr skurrilstes, lustigstes oder erinnerungswürdigstes Erlebnis auf der Arbeit?
Aufgrund der Unterrepräsentation von frühen computerbasierten Kunstwerken und analogen Videoinstallationen/-skulpturen in Kunstinstitutionen weltweit, haben Pioniere und emblematische Künstler begonnen Museen zu kontaktieren, um Schenkungen zu machen. Dies war u.a. der Fall von Jeffrey Shaw, Künstler der digitalen Kunst und Gründungsdirektor des ZKM. Er bot dem ZKM an fünf seiner frühen Kunstwerke, die er als seine Milestones betrachtet, als Schenkung zu erwerben, um deren Langlebigkeit zu sichern. Die bahnbrechende Augmented-Reality-Installation Virtual Sculptures, 1981, war Teil dieser Schenkung.
Dieses Kunstwerk ist ein typisches Beispiel von Medienarchäologie, eine Brücke zwischen dem 16. Jahrhundert und der heutigen Zeit: Ahnherr und Pionier zugleich. In dieser Augmented-Reality-Installation waren eine Fresnel-Linse und ein halbtransparenter Spiegel auf einem Monitor mit Stativ montiert. Die BetrachterInnen konnten den Bildschirm drehen und kippen und beim Blick durch den Spiegel verschiedene einfache computergenerierte virtuelle Objekte entdecken, die an verschiedenen Stellen im realen Raum vor ihnen schwebten.
Die optische Methode basiert auf einer Illusionstechnik namens 'The Pepper Ghost', die auf das 16. Jahrhundert zurückgeht. Sie wird in Virtual Sculpture aktualisiert, indem ein Videobild und eine Fresnel-Linse verwendet werden, um die Brennweite so zu verändern, dass das Bild beim Blick durch den halbtransparenten Spiegel einige Meter entfernt erscheint. Die Rotations- und Kippfunktionen des Systems ermöglichen es dann diese virtuellen Bilder physisch um die BetrachterInnen herum zu verteilen - ein Paradigma der virtuellen Realität, das von Ivan Sutherlands Sword of Damocles (1968) inspiriert ist.
Die Installation benutzte einen Apple II Computer und zwei am Monitor befestigte "Joysticks", um Kipp- und Rotationsbewegungen aufzuzeichnen. Wir haben zwei Apple II Computer im ZKM erworben, um dieses Kunstwerk zu rekonstruieren. Außer dem Künstler ist nichts übriggeblieben. Wir werden die virtuellen Objekte in Assembler-Code wiedercodieren. Ein wunderbares Abenteuer, eine großartige Reise durch die Schichten der Geschichte. Wir können es kaum erwarten, es den ZKM-BesucherInnen zu zeigen!