
Folge #34: 200 Jahre - 100 Objekte am KIT
KulturTalk
KulturTalk mit Andrea Stengel und Dr. Klaus Nippert
Im Kultur-Kaffeekranz Podcast informieren Julia und Jana über aktuelle Highlights der Kultur und interviewen spannende Akteur:innen der Karlsruher Kultur. Das KIT feiert einen runden Geburtstag: 2025 wird es 200 Jahre alt. Das muss groß gefeiert werden! Ein Highlight des bunten Veranstaltungsprogramms ist dabei nicht nur für Kultur-Fans die Ausstellung „200 Jahre KIT – 100 Objekte“, die noch bis 19. Oktober im ZKM gezeigt wird und auch digital verfügbar ist. Im KulturTalk haben wir mit dem Kuratorenteam um Andrea Stengel und Dr. Klaus Nippert gesprochen und Spannendes über die Objekte, die Arbeit an der Ausstellung und das Jubiläum erfahren.
Was genau sind eigentlich Eure Aufgaben am KIT?
Andrea: Ich bin die Kunstkuratorin am KIT und gehöre zur Abteilung Planen und Bauen, an der ich mich eigentlich um Kunst am Bau-Projekte und um die Kunstsammlung des KIT kümmere. Für dieses Projekt bin ich noch mit ans Archiv gewechselt und kuratiere die Ausstellung mit.
Klaus: Ich leite seit dem Jahr 2002 das KIT-Archiv. Meine Aufgabe besteht darin, alles Mögliche, was für unser Langzeitgedächtnis als Institution wichtig ist, aufzuheben – und eben auch zu entscheiden, was wir wegwerfen. Dabei komme ich natürlich laufend mit Objekten und Geschichten in Berührung, die auch für die Allgemeinheit interessant sind. Daraus ist im Jahr 2020 die Idee entstanden, diese Ausstellung zu machen.
Was genau kann man in der Jubiläumsausstellung entdecken?
Klaus: 100 Objekte, die einen Bezug zu unserer Geschichte haben und aus denen man erfahren kann, was das KIT ist und wie es dazu geworden ist. Das KIT besteht ja aus der alten Universität Karlsruhe, früher Technische Hochschule, gegründet 1825 als Polytechnische Schule Karlsruhe, auf der einen Seite, auf der anderen Seite aus dem Forschungszentrum Karlsruhe, das 1956 als Kernforschungszentrum Karlsruhe gegründet wurde. Beide sind 2009 zum KIT vereinigt worden und führen viele ihrer alten Aufgaben genauso fort, einerseits als Landesuniversität und andererseits als nationales Großforschungszentrum in der Helmholtz-Gemeinschaft, arbeiten aber ganz eng, fast amalgamisch im KIT zusammen. Was das früher gewesen ist, wie es sich entwickelt hat und welche Geschichten es dabei mit den Mitarbeitenden gab, das soll alles aus der Ausstellung erfahrbar werden.
Bei der Entstehung der Ausstellung wurden auch Studierende eingebunden. Wie lief der Prozess ab?
Andrea: Es waren tatsächlich gar nicht nur Studierende. Es gab schon 2021 einen Call for Objects, bevor ich dann später als Kuratorin in die Ausstellung eingestiegen bin. Alle, die irgendwie mit dem KIT zu tun haben – Ehemalige, Alumni, Studierende, Mitarbeitende – aufgerufen, Objekte einzureichen, die sie als besonders ansehen oder besonders mit dem KIT verbinden. Aus diesen Objekten wurden einige ausgewählt, lustige, aber auch spannende Dinge. Es war schon sehr interessant zu sehen, was da alles eingereicht wurde, auch wenn natürlich nicht alles in die Ausstellung aufgenommen werden konnte.
Klaus: Nach dem Call for Objects gab es noch eine Phase, in der Studierende ganz intensiv eingebunden waren, die eingegangenen Vorschläge auch zu bewerten und dazu zu recherchieren. Ein Team von studentischen Hilfskräften hat zu den Objekten Fact Sheets geschrieben, also alles Wissenswerte zu den Objekten ermittelt und angefangen, die Geschichte, die man zu diesem Objekt erzählen kann, zu skizzieren.
Habt Ihr ein Lieblingsobjekt in der Ausstellung?
Andrea: Ich habe einige, aber die Armprothese von Reiter finde ich besonders spannend. Sie wurde auch über den Call for Objects eingereicht. Sie ist im Zweiten Weltkrieg entstanden, aus Holz und Metall. Letztendlich hat diese Armprothese, die versehrten Menschen helfen sollte, dazu geführt, dass wir ein großes Institut für Klimaforschung haben. Die ganze wilde Geschichte hinter der Prothese verrate ich jetzt aber noch nicht.
Klaus: Mein Objekt ist die Brüter-Ente, eine Gartenskulptur in Form einer brütenden Ente. Sie ist gefertigt aus Brührohren für Kernwerkstoff, war mal für die schnellen Brüter gedacht und wurde von einem Herrn gebaut, der sein Berufsleben damit verbracht hatte, Brennelemente für den schnellen Brüter herzustellen. Aus dem schnellen Brüter ist dann nichts geworden, es wurde für Milliarden ein neuer Typ Atomkraftwerk gebaut und nach Tschernobyl entschied man sich, diese neue Technologie nicht anzuwenden. Es geht mir nicht um eine Stellungnahme oder Positionierung zur Nutzung der Kernspaltung für die Energieerzeugung, da mag jeder seine eigene Meinung haben. Es geht mir um die Menschen, die in so einem Projekt gearbeitet haben und was es mit ihnen macht, wenn plötzlich Schluss ist. Was heißt es für die Mentalität, wenn die eigene Lebensleistung auf diese Weise plötzlich entwertet wird? Dieser Herr Faulhaber hat den alten Brührohrstahl für die winzig kleinen Brennelement-Tabletten genommen und eine Gartenskulptur daraus gebaut. In Beziehung zu diesem Projekt-Ende hat er sie auch benannt. Einerseits sehen wir eine Enten-Figur aus dem Brüter-Stahl, die „Brüter-Ente“, es gibt aber auch einen alternativen Namen, der auf der anderen Seite steht: „Brüter-Ende“. Das ist ein Spiel mit dem badischen Dialekt, wo die hochdeutsche „Ente“ auch gerne mal „Ende“ genannt wird. Hier verarbeitet jemand diesen Vorgang in einer für ihn humorvollen Weise und schafft damit auch eine Bewältigung dieses frustrierenden Erlebnisses. Man kann sich vorstellen, dass Andere vielleicht ihr Leben lang ein schlecht gelauntes Tagebuch geführt hätten oder den Untergang des Abendlandes herbeikommentiert hätten, aber nein: Es gibt Menschen, die bauen sich eine dekorative Gartenskulptur, lassen sie mit einem Efeukranz umranken und machen daraus ein Wohlfühl-Objekt.
Gibt es ein Objekt in der Ausstellung, das besonders aufwendig zu beschaffen war?
Andrea: Wir haben ein Wasserstoff-Fahrzeug in der Ausstellung, einen VW Bulli. Der war nicht wirklich schwer zu beschaffen, ist aber ein gewichtiges Objekt, einfach weil er sehr schwer ist. Wie der in die Ausstellung kommt, musste natürlich größer organisiert werden als bei einem kleinen Dia, was es auch geben wird.
Habt Ihr bei den Vorbereitungen selbst noch etwas entdeckt, das Euch überrascht hat?
Andrea: Für mich als quereingestiegene Kunsthistorikerin waren natürlich einige Objekte überraschend, weil ich einen ganz anderen Hintergrund habe. Für mich war zum Beispiel überraschend, dass das Periodensystem, das wir alle aus der Schule kennen, in Karlsruhe mitentwickelt wurde. Das war mir nicht bekannt, ich habe aber auch ehrlich gesagt nie groß darüber nachgedacht, wo es eigentlich herkommt, fand es aber sehr interessant. Ein anderes Objekt sind die Dias von Bruno Meier, der in kunsthistorischen Vorlesungen die Diaprojektion eingeführt hat. Dass das hier in Karlsruhe gemacht wurde, finde ich als Kunsthistorikerin sehr interessant.
Klaus: Ich habe mich mit den Objekten einige Jahre im Vorfeld beschäftigt, deswegen greife ich auf eine Überraschung zurück, die ich vor einiger Zeit gehabt habe. Das ist ein Gemälde von Ferdinand Redtenbacher von 1858, das einen kleinen Berg mit einer Burgruine darauf zeigt. Redtenbacher war Maschinenbauprofessor an der Polytechnischen Schule und gilt als der wissenschaftliche Begründer dieses Lehrfachs. Da kann man sich schon fragen: Wie kommt so ein Mensch dazu, ein Ölbild zu malen? Die Überraschung an der Sache war, dass auf der Rückseite des Rahmens ein kleiner handschriftlicher Vermerk steht: „Scheffels Ekkehard“. Das war „Der Name der Rose“ des 19. Jahrhunderts, ein historischer Erfolgsroman. Wenn man ihn liest, merkt man, dass der Roman auf einem Berg beginnt, dem Hohentwiel, wo heute die Burg in Trümmern steht. Redtenbacher hat diesen Roman gelesen und war so begeistert davon, dass er losgelaufen ist nach Südbaden, in Sichtwiete des Hohentwiel seine Staffelei aufgebaut hat und angefangen hat, diesen Roman-Spielort zu malen. Das ist für mich eine ganz überraschende Verbindung zwischen der Technik-Wissenschaft und dem Interesse für Literatur und eigenem künstlerischem Schaffen gewesen. Diese Überraschung hat sich für mich dann ausgebaut zu einer Betrachtung des Kunstschaffens von Ingenieuren im 19. Jahrhundert. Mir ist klar geworden: Es gab tatsächlich ein Kontinuum zwischen der Zeichenausbildung, die man an der Polytechnischen Schule hatte, wo man Freihandzeichnen, Landschaftszeichnen und Architekturzeichnen lernte, aber auch die Darstellung von berechneten Körpern bis hin zum Bau von Modellen und dem akribischen Anfertigen von ganz genau bemessenen Zeichnungen bis hin zu den großen Studienarbeiten wie etwa der Konstruktionszeichnung einer Dampfmaschine.
Gibt es begleitende Angebote zur Ausstellung? Auf was freut Ihr Euch besonders?
Klaus: Ich freue mich auf den Vortrag im September, der die Geschichte des KIT in Bildern darstellen soll. Da geht es mal nicht darum, eine möglichst stringente, sprachliche Erzählung herzustellen, sondern darum, das Bildmaterial auszuwählen, das am besten für unsere Entwicklungsschritte spricht. Das ist eine neue Form und eine eigene Herausforderung, bei der ich dann auch aus dem aussteigen muss, was ich gewöhnt bin. Ich stelle mir aber vor, dass die wirklich reichen Bilderschätze aus dem KIT-Archiv anfangen, eine eigene Geschichte zu erzählen und bin darauf sehr gespannt.
Andrea: Wir haben verschiedene Vorträge im Programm, die unterschiedliche in den Gesamtkontext setzen sollen, darauf bin ich insgesamt sehr gespannt.
Die Ausstellung ist Teil des Jubiläumsjahrs zu 200 Jahren KIT. Welche Highlights können Interessierte noch erwarten?
Andrea: Da freue ich mich erstmal sehr auf den Tag der offenen Tür, das ist sicher eines der Highlights. Alle Veranstaltungen, die es im Lauf des Jahres gibt, stehen natürlich im Zeichen des KIT-Jubiläums, das ist ein riesiges Programm. Verschiedene Konzerte finden auch statt, die Musik-Ensembles des KIT haben ihre Konzerte unter das Thema gestellt. Auch die Schlosslichtspiele greifen dieses Jahr das 200-jährige Jubiläum auf.
Klaus: Am Tag der offenen Tür findet auch eine Zeitkapsel-Aktion des KIT-Archivs statt. Da ist die gesamte Belegschaft des KITs, aber auch die weitere Umgebung hier in Karlsruhe aufgerufen, Botschaften für die Zukunft des KIT bei uns im Archiv abzugeben. Die werden dann feierlich in einer sehr gewichtigen, stabilen Zeitkapsel eingeschlossen und dann für mindestens 25 Jahre im KIT-Archiv verwahrt, damit eine nachfolgende Generation sehen kann, wie wir hier unser Jubiläumsjahr erlebt haben und was für uns für das KIT wesentlich gewesen ist.
Ein Teil der Ausstellung findet auch im Digitalen statt. Wie läuft das ab?
Andrea: Die Ausstellung wird nicht nur vor Ort im ZKM stattfinden, sondern auch über weitere fünf Jahre komplett online sein, wo man alle hundert Objekte betrachten kann.
Klaus: Das war für uns auch ein Abenteuer, das wir eine digitale Ausstellung machen sollten, zu der es im ZKM eine kleine physische Ausstellung dazu gibt. Dort werden 15 Objekte körperlich gezeigt, aber die Gesamtheit findet sich dann in der ZKM-Ausstellung auf einem digitalen Multi-Touch-Tisch und in einer riesigen Projektionslösung auf 16m Leinwandbreite, wo man alles sehr genau zu sehen bekommt. Gleichzeitig ist die vollständige digitale Ausstellung im Internet. Was das bedeutet, dass man alles in der Ausstellung auch in einem digitalen Format hat, konnten wir am Anfang noch gar nicht richtig absehen, weil wir damit noch keine Erfahrung hatten. Da hat man dann die Erfahrung, dass Dinge in eine Ausstellung passen, die man nie und nimmer in ein Museum bringen könnte. Das kann ein ganzes Gebäude sein oder ein winzig kleines Objekt, das man mit dem Auge gar nicht sehen kann. Das passt in die Ausstellung, weil man es in einer vergrößerten Abbildung darstellen kann. Es können aber auch eher unkörperliche Dinge sein wie ein ingenieurtechnisches Konzept, mit dem die Verbindungen, die die Natur schafft, in die Ingenieurtechnik hineingeführt werden, um dort zu Lösungen mit größerer Festigkeit zu führen. Da merkt man auf einmal, dass man sehr viel breitere Möglichkeiten als mit einer nur körperlichen Ausstellung hat. Auf der anderen Seite geht aber auch die Körperlichkeit der Objekte als positiver Faktor mitunter verloren. Man fragt sich: Hätte ich jetzt nicht lieber mehr mit Händen greifbare Objekte – mit Ecken und Kanten, und nicht nur zweidimensionale Bilddarstellungen? Man sieht, dass die Digitalisierung uns Chancen bietet, aber auch etwas mit uns macht, sodass wir, nachdem wir durch so einen Prozess gegangen sind, schon viel mehr wissen. Wir müssen innehalten und nachdenken, ob alles, was uns passiert ist, uns auch wirklich gefällt und wie wir damit in Zukunft umgehen wollen.
Andrea: Interessant fand ich auch die vielen Wegbegleiter, die man auf so einer Reise hat. Wenn ich alle aufzählen wollte, wäre ich eine Weile beschäftigt. Das sind alle Leute, die etwas in den Call for Objects gegeben haben, aber auch alle Kolleginnen und Kollegen, die uns auch mit Ideen unterstützt haben, gerade mit den Problematiken, die sich uns gestellt haben. Toll, wieviel Kreativität von allen Seiten gekommen ist, um dieses Ergebnis zu erzielen.
Klaus: Zu erleben, dass Menschen sich mit der Aufnahme ihrer Objektvorschläge in die Sammlung auch persönlich gewürdigt fühlen, und dass das einen Zusammenhang zwischen ihnen und denen, die die Ausstellung machen, herstellt, aber auch zwischen ihnen und der Institution KIT gibt und dass das ein auf alle wirkender Prozess ist, das war eine durchweg angenehme Erfahrung.
Vielen Dank...
dass Ihr heute bei uns wart! Wir wünschen Euch noch viel Spaß beim Feiern des KIT-Jubiläums.