Ausstellung Lichthof 2, elektrischer Rollstuhl

Wie wir wurden, was wir senden

Erlebnisbericht

von Jana Schmeckenbecher

15.05.2025

Medienkunst als Spiegel der Zeit in „The Story That Never Ends“

Die neue Ausstellung, die ich letztens im ZKM besucht habe, führte mich vorbei am Medientheater und der HfG in die Lichthöfe 1 und 2. Ich betrat ich die Ausstellungsräume und mein Interesse war sofort geweckt: Vor mir Objekte, die kühle technische und maschinelle Präzision aber zugleich etwas Menschliches und Vertrautes, sowie performative künstlerische Freiheit ausstrahlten. Die Luft war erfüllt von leisen Klicks und Summen, von Videoflimmern, Rauschen und alter Musik… als wären alte Maschinen aus den 1960er-Jahren plötzlich wieder lebendig. 

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Von welcher neuen Ausstellung ich spreche? „The Story That Never Ends“ - Hier in Karlsruhe im ZKM | Zentrum für Kunst und Medien sind nun etwa 100 Objekte aus einer der weltweit größten Medienkunstsammlungen, die insgesamt rund 12.000 Werke umfasst, zu sehen. Etwa die Hälfte dieser Schätze wurde zuvor nie öffentlich präsentiert. Seit 5. April und noch bis 20. September 2026 habt ihr die Chance, selbst zu entdecken, wie aufwendig es ist, Medienkunst nicht nur zu zeigen, sondern sie dauerhaft funktionsfähig zu halten. Das Zusammenspiel von Sammlung, Forschung und Pflege macht die Ausstellung einzigartig: Hier wird nicht nur gezeigt, was Medienkunst ist, sondern auch wie sie lebendig bleibt.

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Das ZKM - Das Zentrum für Medienkunst

Das ZKM ist seit seiner Gründung 1989 ein internationaler Treffpunkt für Forscher:innen, Künstler:innen und Technikbegeisterte. Seit den 1990er-Jahren gilt es als Leuchtturm der Medienkunst, an dem sich Pionier:innen der digitalen Ära – von Videokunst bis interaktiven Systemen – austauschen. Viele Werke der frühen Medienkunst entstanden ursprünglich für Festivals oder Labore, nicht für klassische Museumsräume. Das führte dazu, dass bedeutende Installationen oft nur wenige Tage oder Wochen zu sehen waren und dann in Depots verschwanden. Mit „The Story That Never Ends“ schlägt das ZKM ein neues Kapitel auf: Es zeigt nicht nur Kunst, sondern öffnet sein Herzstück – die Sammlung mit ihren restaurierten Werken – für alle Besucher:innen.

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© KTG Karlsruhe Tourismus GmbH

Sammlung, Ausstellung und Bewahrung

Medienkunst unterscheidet sich grundlegend von Malerei oder Skulptur: Sie lebt erst im Moment ihrer technischen Funktion. Ein Video, das verpixelt oder auf Bandrauschen reduziert ist, verliert seinen Klang und seine visuelle Kraft; ein Roboter, der nicht mehr surrt, wirkt eher wie ein technisches Gerippe. Damit Medienkunst erlebbar bleibt, braucht es ein präzises Zusammenspiel: Restaurator:innen, Techniker:innen, Kurator:innen und Vermittler:innen arbeiten am ZKM Hand in Hand. Während Restaurator:innen und Techniker:innen dafür sorgen, dass Werke technisch funktionieren, liegt es an den Kurator:innen, die Sammlung klug zu ordnen, Kontexte herzustellen und Medienkunst so zu präsentieren, dass sie im Museum erfahrbar wird. Denn viele dieser Werke entfalten ihren Sinn erst in der Interaktion mit den Besucher:innen.

  • Betriebssysteme und Formate: In Vitrinen begegnet ihr Original-Hardware wie Amiga-Computern oder frühen Apple-Macs, daneben liegen Disketten und Videokassetten. Hier wird deutlich, wie vergänglich digitale Formate sind: Veraltete Systeme müssen migriert, Code nachgeschrieben oder neu interpretiert werden – oft ist detektivischer Spürsinn gefragt, damit die Kunstwerke überhaupt wieder starten.
  • Mechanische Objekte: Kinetische Skulpturen bestehen aus Motoren, Sensoren, Kabeln – alles Material, das über Jahrzehnte hinweg altert und korrodiert. Restaurator:innen reinigen winzige Bauteile, ersetzen Drähte und kalibrieren Sensoren. Das ist mitunter so aufwendig wie die Restaurierung eines Ölgemäldes – nur, dass hier alles in Bewegung ist.
  • Kuratorische Kontexte und Vermittlung: Neben der technischen Pflege gehört auch die inhaltliche Aufbereitung zur Bewahrung. Kurator:innen entscheiden, welche Werke gezeigt werden – und in welchem narrativen oder visuellen Zusammenhang. Unterstützt werden sie dabei vom Kunstvermittlungsteam, das mit Workshops, Führungen und Rahmenveranstaltungen einen vielschichtigen Zugang ermöglicht. So wird Medienkunst für alle Besucher:innen zugänglich – unabhängig von technischem Vorwissen.

Feministische Perspektiven eröffnen neue Räume

Ein bemerkenswerter Fokus der Ausstellung liegt auf feministischer Medienkunst. Lichthof 2, der erste Lichthof, den man betritt, ist ausschließlich Arbeiten von Künstlerinnen gewidmet – ein bewusstes Statement gegen frühere Traditionslinien, in denen Frauen häufig in den Hintergrund gedrängt wurden.

Ursula Neugebauer, „Tour en l’air“ (1998): Ihr begegnet rot gekleideten Torsi, die elegant im Kreis rotieren. Ihre Roben wirken wie fließende Gewänder, die sich durch minimale Mechanik beinahe lautlos drehen. Die filigranen Bewegungen erzeugen einen im ganzen Raum spürbaren Luftzug und eine fast spirituelle Atmosphäre, dabei verweisen sie auf weibliche Präsenz als künstlerische Kraft.

Weitere Positionen: Arbeiten von Hanne Darboven, Christiane Möbus und Martha Rosler sind in diesem Kontext ebenso vertreten und zeigen, wie vielfältig feministische Medienkunst sein kann – von Datenvisualisierung bis Klanginstallationen.

Dieser Abschnitt regt dazu an, über Besitzverhältnisse nachzudenken: Welche Geschichten haben männliche Dominanz in der Kunst erzählt – und wie verändern sich diese Erzählungen, wenn Frauen sichtbar in den Fokus gerückt werden?

Ursula Neugebauer, „Tour en l’air“ (1998) in Lichthof 2 © KTG | Karlsruhe Tourismus GmbH Foto: Jana Schmeckenbecher

Weitere Highlights der Ausstellung

Bill Viola, „Stations“ (1994)

In einem abgedunkelten Raum zwischen den Lichthöfen flimmern sechs Monitore: nackte Körper schweben kopfüber in langsam fließendem Wasser. Am Boden spiegelt sich die Szene, richtet die Figuren auf und lässt sie in einer beruhigenden Stille tanzen. Meine Kollegin fand die Szenerie albtraumhaft, ich jedoch empfand eine tiefe meditative Ruhe – ein Gegenpol zum sonst oft hektischen Zusammenspiel von Licht und Ton. Viola führt hier Körperlichkeit und Transzendenz zusammen: Das Bild wird zum Spiegel für eigene Emotionen.

Bill Viola, „Stations“ (1994): Körper im Wasser, gespiegelt im Boden © KTG | Karlsruhe Tourismus GmbH Foto: Jana Schmeckenbecher

Edmond Couchot, „Sémaphora III“ (1966)

Ein Raum im Lichthof 1, dem zweiten Raum der Ausstellung, zeigt ein faszinierendes Lichtballett: Plexiglasscheiben in Kreis- und Strichformen leuchten in verschiedenen Rhythmen und Farben auf, erinnern an ein abstraktes Gemälde von Joan Miró. Daneben entdeckt ihr das ausgeschaltete Original – ein filigranes Netz aus Motoren, Kabeln und Leuchtbirnen. Die Installation läuft nur zweimal täglich, um die empfindliche Elektronik zu schonen – und zwar um 11:30 Uhr und um 15:30 Uhr. Der Kontrast zwischen fließenden Lichterscheinungen und technischem Gerüst verdeutlicht, welche Zerbrechlichkeit hinter scheinbarer Magie steckt – beeindruckend ist, dass dieses Medienkunstwerk vom Künstler Edmond Couchot 1966 gefertigt wurde, es ist also fast 60 Jahre alt.

Edmond Couchot, „Sémaphora III“ (1966) © KTG | Karlsruhe Tourismus GmbH Foto: Jana Schmeckenbecher

Hanna Haaslahti, „Captured“ (2019/2022)

Ein Gesichtsscanner holt euch mitten in die Videoprojektion, die ein sozialkritisches Narrativ über Gruppendynamik, Gewalt und Ausgrenzung erzählt. Plötzlich erkennt ihr euer eigenes Antlitz zwischen aversiven Gesten und Blicken – das erzeugt eine beklemmende Mischung aus Fremdheit und Selbstidentifikation. Die Arbeit hinterfragt, wie sehr wir Teil sozialer Machtstrukturen sind und welche Rolle Technik dabei spielt, Identität zu formen und zu manipulieren.

Hinter den Kulissen: Labore und Kurator:innen

Hinter den Kulissen der Ausstellung steht natürlich ein großes Team, bei dieser Ausstellung sind besonders die Techniker:innen und Restaurator:innen gefragt. Sie arbeiten in den Werkstätten, Archiven und Laboren im Hintergrund – an Orten der Forschung, in denen interdisziplinäre Teams aus Restaurator:innen, Archivar:innen, Techniker:innen und Softwareentwickler:innen arbeiten. Das Kurator:innen-Team koordiniert die Auswahl, während das Techniker:innen-Team die Werkstücke technisch prüft und anpasst. Dieses enge Miteinander von Kunst, Theorie und Technik macht das ZKM seit drei Jahrzehnten zur Vorreiterin der Medienkunst-Forschung.

Warum „The Story That Never Ends“

Diese Ausstellung endet am 20. September 2026 nicht – sie lebt weiter in technischen Neuerungen, digitalen Netzwerken, aber auch im Austausch zwischen Besucher:innen, in der Interaktion mit den Medienkunstwerken und in der kontinuierlichen Arbeit aller Beteiligten. Gerade Medienkunst, die auf Teilhabe und Reaktion angewiesen ist, braucht euch als aktive Mitwirkende. Jeder Besuch, jedes Gespräch vor einer Installation und jedes geteilte Foto wird Teil dieser fortlaufenden Geschichte.

Der Titel „The Story That Never Ends“ verweist aber auch auf einen ganz konkreten Aspekt: Medienkunst kann nur bewahrt werden, wenn sie sich immer wieder neu an aktuelle technische Bedingungen anpasst. Betriebssysteme veralten, Kabel korrodieren, Videoformate verschwinden – damit ein Werk lebendig bleibt, müssen Codezeilen neu geschrieben, Hardware ersetzt, digitale Inhalte migriert werden. Diese stetige technische Pflege ist ein wesentlicher Teil der Erhaltung.

Titel © KTG | Karlsruhe Tourismus GmbH Foto: Jana Schmeckenbecher

Fazit: Die Kunst des Erhaltens

„The Story That Never Ends“ macht erfahrbar, wie stark Medienkunst unsere Gegenwart geprägt hat – und wie wichtig es ist, diese Werke zu bewahren, um unsere digitale Kulturgeschichte sichtbar und lebendig zu halten. Denn Medienkunst erzählt nicht nur von Technik, sondern auch von Identität, Gesellschaft und Wandel. Sie dokumentiert, wie wir denken, fühlen und kommunizieren – gestern, heute und morgen. Das ZKM nimmt dabei eine einzigartige Rolle ein: Es rettet nicht nur Maschinen und Codes, sondern bewahrt die künstlerischen Auseinandersetzungen, die schon in den 1960er Jahren begonnen haben. Damit wird das ZKM zu einem Ort kollektiven Gedächtnisses, das unsere mediale Welt erfasst, reflektiert und in die Zukunft trägt.

Selbst wenn manche Werke auf den ersten Blick technisch oder abstrakt erscheinen mögen – es lohnt sich, näher hinzusehen, sich Zeit zu nehmen, sich einzulassen. Denn hinter jedem Flackern, jedem surrenden Motor, jedem leuchtenden Display steckt ein Stück mediale Selbsterfahrung, ein Blick in die Welt von gestern und zugleich ein Spiegel unserer Gegenwart. 

Wer sich auf diesen Weg einlässt, geht nicht einfach durch eine Ausstellung – sondern durch eine Geschichte, die weitergeht. Euer Besuch wird Teil davon, also bleibt neugierig und kommt im ZKM vorbei!

Bildschirme im Kreis © KTG | Karlsruhe Tourismus GmbH Foto: Jana Schmeckenbecher