Renaissance 3.0

im ZKM | Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe

Kunst trifft Wissenschaft

Dirk - Mai 2023

Metabolisierende Skulpturen, VR-unterstützte Computerwelten und Roboter, die unaufhörlich Kunst produzieren: Das alles ist in der neuesten Ausstellung „Renaissance 3.0“ zu sehen. Peter Weibels letzte Ausstellung im ZKM | Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe, vereint modernste wissenschaftliche Methoden und Apparate mit Malerei, Skulptur und zukunftsweisender Medienkunst und zeigt, dass Kunst und Wissenschaft mehr gemeinsam haben, als man auf den ersten Blick vermutet.

Renaissance 3.0

Die Ausstellung „Renaissance 3.0“ verspricht ein Basislager für neue Allianzen von Kunst und Wissenschaft im 21. Jahrhundert zu errichten. Ein Basislager also, genau wie beim Aufstieg auf den Mount Everest? Soweit ich mich an die ein oder andere Dokumentation zurückbesinne, ist das Basislager im Bergsteigen der Ausgangspunkt für die anstehende Expedition. Man wird dort noch einmal umfangreich versorgt und kann sich ausruhen, bevor man den abenteuerlichen Aufstieg auf die höchsten Berge dieser Welt antritt. Na dann – noch einmal durchatmen und auf geht’s.

Blick in die Ausstellung | Lichthof 2

Am Anfang war das Buch

Die Ausstellung im EG der Lichthöfe 1+2 des ZKM beginnt mit einem wohl recht ungewöhnlichen Element, das man so in klassischen Ausstellungen selten findet. An der ersten Station gibt es unzählige Bücher und Screens, die man zur anfänglichen Recherche nutzen kann – vorausgesetzt, sie sind nicht hinter einer Scheibe. Dies ist aber kein Muss, um die Ausstellung zu verstehen, sondern vor allem für die besonders Wissbegierigen, denn an der Wand direkt daneben gibt es auch einen kurzen Einführungstext, der einen verständlichen Einstieg bietet.
Leonardo Da Vincis „Trattato della Pittura“ ist eines der Werke, das man nur hinter einer Scheibe betrachten kann. „Malerei ist eine Wissenschaft“, heißt es darin. Ein über 500 Jahre altes Zitat, das wohl themenstiftend für Peter Weibels Renaissance 3.0 ist und inhaltlich den Bogen der ersten beiden Renaissancen in unsere Gegenwart schlägt.

Leonardo Da Vincis „Trattato della Pittura“

Back to school

Der kurze Blick auf den Wandtext verrät, welches die ersten beiden Renaissancen waren, die der hier präsentierten Renaissance 3.0 vorangegangen sind. Vielen ist sicherlich die italienische oder europäische Renaissance bekannt. Die ist grob ab dem 15. Jahrhundert zu verorten und vielleicht ist einigen noch aus dem Kunstunterricht bekannt, dass die Erfindung der Zentralperspektive in diese Zeit fällt. Die arabische Renaissance ist eine Bezeichnung, die auf Peter Weibel zurückgeht. Die Gemeinsamkeit der drei Renaissancen ist, dass in ihnen große wissenschaftliche Neuerungen globalen Einfluss ausübten, in der Wissenschaft, der Kunst und auf die Gesellschaft allgemein.
Das Besondere an der Renaissance 3.0 ist der sogenannte „Pool of Tools“. Wissenschaft und Kunst haben sich im 20ten Jahrhundert immer weiter angenähert und mittlerweile werden ähnliche oder gleiche Werkzeuge genutzt. Nicht nur der Computer zur Darstellung oder Schaffung moderner Kunstwerke ist in diesem Werkzeugkoffer zu finden, sondern auch Bio-Engineering, Robotik, Genetik, Medizin oder Künstliche Intelligenz

Blick in die Ausstellung

Schuhe aus, jetzt wird musiziert!

Eines der auffälligsten Konstrukte im ersten Lichthof ist das Werk „Algo-r(h)i(y)thms“ von Tomás Saraceno. Der Spinnenliebhaber konstruierte einen weißen Raum, in dem Schnüre wie in einem Spinnennetz gespannt sind. Ohne Schuhe und maximal zu fünft darf man den Raum betreten und musizieren. Musizieren? Genau, wenn man an den verschieden dicken und kreuz und quer gespannten Schnüren zupft, entstehen verschiedenste computergenerierte Töne. Da bleibt nur eins: Augen schließen und mit seinen Freunden wie Spinnen in ihrem Netz kommunizieren.

Tomás Saraceno „Algo-r(h)i(y)thms“

One line to draw them all

Direkt daneben befindet sich mit „the native picture“ ein großer Roboterarm, der so auch in einer Autofabrik zu finden sein könnte. Unaufhörlich malt der Arm in einer einzigen Linie ein Bild. Beim Blick auf die dahinterliegende Wand fügt sich das Puzzle zusammen. Der Roboter mal eine Marslandschaft nach und ein Bild nach dem anderen fügt sich das große Gesamtbild zusammen, das erst während der Ausstellung fertiggestellt werden wird. Wie sagte da Vinci doch noch gleich, „Malerei ist eine Wissenschaft“!

robotlab/ Mathhias Gommel, Martina Haitz, Jan Zappe "the native picture"

Des Pudels Kern

Einen Raum weiter ist der eingangs erwähnte „Pool of Tools“ dargestellt. Von der Entwicklung sogenannter Rechenmaschinen bis über die Fortschritte im Gebiet der Computerchips im 20.Jh. erhält man hier einen umfangreichen Überblick über die technischen Entwicklungen, die zu dem gemeinsamen Werkzeugkasten von Kunst und Wissenschaft geführt haben. Leseratten oder besonders Wissbegierige könne sich auch hier an einer umfangreichen Auswahl an Literatur bedienen und nochmal einzelne Aspekte vertiefend nachlesen.
Der „Pool of Tools“ scheint genau im Zentrum der großen Ausstellungsfläche platziert zu sein. Hier ist die zentrale These des gemeinsamen Werkzeugkastens von Kunst und Wissenschaft durch historische Entwicklungen und Beispiele belegt. Wir befinden uns quasi am inhaltlichen Ausgangspunkt und können von hier den Rest der Ausstellung erkunden. Dabei gibt es keine chronologische Sortierung oder einen vorbestimmten Weg, sondern verschiedenste künstlerische Positionen, die nur darauf warten von uns entdeckt zu werden.

Pool of Tools

Den Besucher*innen auf der Spur

Nur wenige Schritte weiter im Lichthof 1 wandert der Blick unweigerlich auf den Boden. In der Installation „Wissensfeld“ von Peter Weibel & Christian Lölkes, die eigens für die Ausstellung entstanden ist, wird die Wissensvermittlung zur Kunst. Du siehst einen Begriff, der inhaltlich mit der Ausstellung verbunden ist, dann stelle dich drauf und auf einem der vier Screens erscheinen kurz und knapp die wichtigsten Infos zu dem Begriff.
Direkt daneben befindet sich ein, auf den ersten Blick, unscheinbarer Bildschirm, auf dem die gesamten Besucherströme in der Ausstellung in Echtzeit angezeigt werden. Wo halten sich die meisten Menschen auf und auch wie lange? Welches sind die meistgelaufenen Routen und welche Bewegungsmuster werden den aktuellen Besuchenden prognostiziert? Das alles wird bei „TRACES“, einem Projekt des ZKM, völlig anonymisiert erfasst und ist eine Technologie, die in Zukunft auch in anderen Museen zum Einsatz kommen könnte.

Das „Wissensfeld“ von Peter Weibel & Christian Lölkes

Mitmachen, anfassen und ausprobieren

Neben Kunstwerken, die Skulpturen metabolisieren, raumgreifenden Installationen, in denen Luft gefiltert wird, gibt es auch noch weitere Werke wie „fluidum 2“ und „Autopoiesis“, mit denen die Besucher*innen interagieren können. In „fluidum 2“ von Holger Förterer bewegt der eigene Schatten die Wellen und Farben auf der Wand und lädt zum Experimentieren mit verschiedensten Bewegungen ein. Wie verläuft die Projektion, wenn man ganz schnell daran vorbeiläuft, oder kann man gezielt bestimmte Muster erzeugen? Da bleibt nur Ausprobieren!

Holger Förterer "fluidum 2"

„Autopoiesis“ von dem Berliner Studio ATELIER E entführt in digitale Welten. In Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer Institut Stuttgart entstand dieses Projekt, in dem die Aktivitäten der verschiedenen Hirnhälften visualisiert und über Virtual Reality dargestellt werden. Nach dem Aufsetzen der Brille befindet man sich in einem unbegrenzten Raum, in dem Sinuswellen-artige Linien, 2-dimensionale Formen und Diagramm-artige Schaubilder entlangsurren.

ATELIER E "Autopoiesis"

Back to reality

Zurück in der realen Welt gibt es noch so viel mehr zu erkunden! Rund 35 Kunstwerke internationaler Künstler sind insgesamt in der Ausstellung zu sehen. Ganz egal, ob ihr IT-Spezialist*innen, Kunstexpert*innen oder Banausen auf beiden Gebieten seid, Peter Weibels „Renaissance 3.0“ ist für alle.
Ihr wollt einen kurzweiligen Museumsaufenthalt, z.B. am Happy Friday erleben? Dann setzt die VR-Brille auf oder musiziert mit Spinnenweben, Interaktion wird hier großgeschrieben. Ihr interessiert euch für Wissenschaftsgeschichte oder die Einflüsse hochkomplexer technischer Neuerungen auf die neueste Kunst? Dann macht es euch an einer der verschiedenen Wissensstationen bequem und schlagt in einem der vielen Bücher nach, während ihr dem Kunstwerk gegenübersitzt. Ihr seid weder Kunst-Allergiker*innen noch absolute Expert*innen? Dann nehmt doch an einer der vielen Führungen teil und entdeckt die neuesten Entwicklungen in Kunst und Wissenschaft.

Thomas Feuerstein "METABOLICA Camp"