Museen und Nachhaltigkeit

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Julia - März 2024

Alle sprechen über Nachhaltigkeit. Aber was bedeutet das eigentlich konkret - und vor allem für die Karlsruher Kultureinrichtungen? In ihrer neuen Interview-Reihe "Nachhaltigkeit in der Kultur" sprechen Julia und Jana mit Expert:innen zu diesem Thema. Die Interviews werden immer am letzten Freitag des Monats im Campusradio beim Podcast Kultur-Kaffeekranz gesendet. Wer die Sendung verpasst hat, kann sie jederzeit hier nachhören oder auf unserem Blog nachlesen.

#4: Museen und Nachhaltigkeit: Interview mit Prof. Annette Ludwig

Prof. Annette Ludwig ist promovierte Kunsthistorikerin und Direktorin der Museen der Klassik Stiftung Weimar. In ihrer Verantwortung liegen 21 Museen und historische Häuser, davon etliches UNESCO-WeltKulturerbe. Sie verantwortet 200 Jahre Sammlungsgeschichte, 500 Jahre Kulturgeschichte. Zuvor war sie 12 Jahre lang Direktorin des Gutenberg-Museums in Mainz, des sogenannten Weltmuseums der Druckkunst. Im Kultur-Kaffeekranz hat sie Jana und Julia all ihre Fragen zu Museen und Nachhaltigkeit beantwortet.

Was umfasst der Begriff Nachhaltigkeit überhaupt für ein Museum?

Wichtig ist, dass es hier keine Blaupause und keinen Königsweg gibt. Alle Museen sind im Moment in einem Annäherungs-, Such- und Lernprozess. Grundsätzlich muss man unterscheiden zwischen Nachhaltigkeit im Museum selbst und Nachhaltigkeit im Ausstellungswesen, also dem Einsatz von Ausstellungsarchitektur, Gebäudetechnik, Depots, Raumklima, der Nachnutzung von Ausstellungen auch im Digitalen und der Vereinheitlichung gemäß dem Motto „Be one“, egal ob das Vitrinensysteme betrifft oder die Medien- und Lichttechnik. Die Optimierung von Lagerkapazität gehört ebenfalls dazu. Wesentlich ist auch, dass wir verstärkt aus unseren Sammlungen herausarbeiten und mit den eigenen Ressourcen, auf „Blockbuster“ verzichten und die eigenen Stärken ausbauen. Man muss die Logik des quantitativen Wachstums durchbrechen und, wo es möglich ist, umwenden, um Handlungsspielräume für qualitative Entwicklungen, für Innovation und damit auch für Nachhaltigkeit zu gewinnen. Der sogenannte „De-Growth“, also die Abkehr vom „höher-schneller-weiter“, wird oft mit Verzicht assoziiert. Dabei müssten wir verinnerlichen, dass das kein Verzicht ist, sondern eine Chance, tatsächlich nachhaltiger zu werden. Das ist eine sehr komplexe Aufgabe, die nicht damit erledigt ist, eine Photovoltaik-Anlage auf das Dach zu bauen und den Hof zu entsiegeln. Sie kann nicht zusätzlich erledigt werden, sondern muss in das tägliche Handeln integriert werden und ist eine (kuratorische) Haltung.

Schloss Belvedere, Foto: Klassik Stiftung Weimar

Wie ist aktuell der Stand an den meisten Häusern? Was wird schon getan?

Aktuell ist das Thema in allen Häusern Diskussionsgegenstand. Das sieht man auch daran, dass sehr viele Fachtagungen, etwa vom Deutschen Museumsbund, dem Thema gewidmet wurden oder werden. Alle suchen nach einem Weg, es findet eine Annäherung statt. Es gibt inzwischen auch einen Leitfaden vom Deutschen Museumsbund zur Nachhaltigkeit, auch dazu, wie man perspektivisch zu einer Zertifizierung kommen kann. Viele versuchen, Nachhaltigkeit in ihrem Leitbild zu verankern und nicht nur als bloßes Schlagwort zu verwenden, sondern zu leben und die Praxis zu hinterfragen. Dabei geht es um die Nutzung materieller und immaterieller Ressourcen: Die Infrastruktur muss kritisch befragt werden, die Gebäude, die Materialien, die technische Ausrüstung, aber auch die Forschungsleistungen. Wie kann ich letztere teilen, nutzen und zugänglich machen? Aber auch Dinge wie Wissen, Finanzen und Marketing sind betroffen. Die Wirkung nach innen und außen muss dabei unbedingt gemessen werden, um zu wissen, wozu und für wen etwas getan wird, und um nicht am Zielpublikum vorbeizuarbeiten.

Zauberhafte Treppe, Foto: Gordon Welters

Wie kann man Nachhaltigkeit an einem Museum erfassen?

Es gibt ja die Sustainable Goals, in Bezug auf die man sich immer fragen kann, was man schon erreicht hat. Die Angelegenheit ist aber wie gesagt komplex und es geht nicht nur um die offensichtlichen Änderungen am Gebäude, an der Klimatechnik oder im CO2-intensiven Leihverkehr. Es ist ein Ganzes, ein Handlungsprinzip, bei dem man sich fragen muss, was den Exponaten oder auch den Gästen zugemutet werden kann. Wie wird sich das Besuchserlebnis verändern, wenn zum Beispiel die Räume kühler sind? Wie gehe ich mit den Exponaten um, wenn ich die Klimakorridore ausweite und nicht mehr nach Lehrbuch arbeite? Das Kulturgut muss dabei natürlich nach wie vor geschützt werden. Diese Dinge müssen optimiert werden, interne und externe Abläufe werden hier kritisch untersucht. Wenn ich Nachhaltigkeit messen will, gehört dazu aber auch nachhaltige Personalpolitik, also nicht nur befristete Verträge, sondern eine kontinuierliche Arbeit am Wissen und eine Wissenstransformation, bei der nichts verloren geht. Das sind ökonomische, ökologische und soziale Aspekte, die Nachhaltigkeit vereint, die ich dann messen kann und durch die ich meiner Organisation Sustainability Goals verleihen kann.

Die Sonne im Gentzschen Treppenhaus, Foto: Gordon Welters

Was sind für Museen die großen Herausforderungen, wenn sie nachhaltiger werden wollen?

Die großen Herausforderungen sind die Veränderungen, die gerade stattfinden, ob wir das wollen oder nicht. Das haben wir durch die jüngsten multiplen Krisen erfahren, die Corona-Krise, Krieg und die Energie-Krise. Museen sind in einem Transformationsprozess begriffen und verändern sich. Es ist eine Frage des Selbstverständnisses und der kuratorischen Haltung, dass das Team Nachhaltigkeit verinnerlicht und dass es eben nicht eine Person als Nachhaltigkeitsbeauftragte*n gibt, die sich darum kümmert, sondern dass es ein komplexes System ist, das bei der inneren Organisation beginnt und bei Gebäudetechnik nicht aufhört.

Einblicke in den Conseilsaal, Foto: Gordon Welters

Kennen Sie ein spannendes Best Practice-Beispiel, ein besonders schönes Projekt?

Es gibt sehr viele Projekte und auch spannende Ausstellungen, die sich mit der Materie beschäftigen. Sogar ein Museum zum Thema Nachhaltigkeit ist schon gegründet worden. Viele Museen schaffen eine Art Labor-Situation, um etwa diskursive Formate zu diskutieren. Dieses Labor kann dann als ephemere Architektur weiterziehen und nachgenutzt werden. Aus meiner eigenen Praxis kann ich von der Sanierung des Residenzschlosses in Weimar berichten, das als Bürgerforum umkodiert werden soll. Dafür haben wir laboriert: Wie kann ein neues Museum im Schloss aussehen und eingerichtet werden? Was braucht es dazu? Kann man auf das museale Universalklima verzichten? Ressourcenschonend ist zum Beispiel auch die Einführung eines Themenjahrs, bei dem alle aus ihren Sammlungsbeständen heraus an einem Thema arbeiten. Das spart Ressourcen und steigert zugleich die Arbeitszufriedenheit, die auch zur Nachhaltigkeit gehört. Gerade errichten wir außerdem ein neues Depot für die Graphischen Sammlungen, in dem wir ein Low Tech-Konzept umsetzen wollen: Wir rüsten technisch nicht mehr hoch, sondern verwenden träge Baumassen und hygrische Stoffe, die nicht mehr so spontan auf Hitze und Kälte reagieren. Im Wassermanagement benutzen wir das Grauwasser, etwa für die Toiletten, wir verwenden solare Wärme und auch die Ausrichtung des Baukörpers ist wichtig: Kunstgut wird eher im Norden untergebracht, Büros eher im Süden. Wir versuchen auch mit Betonkernaktivierung zu arbeiten, bei der die Gebäudemasse selbst zur Temperaturregulierung herangezogen wird. Ein weiteres Beispiel aus meiner Praxis: Bei der Ausstellung „Nietzsche privat“ zeigen wir erstmals Möbelstücke der Geschwister Nietzsche. Diese kunsthistorisch wertlosen Möbel haben wir in Transportkisten präsentiert. Die Kisten werden dann nach Ausstellungsende verschenkt und können nachgenutzt werden. Wer die Kisten abholt, kann sie als Hochbeet, Tierstall oder Ähnliches verwenden. Dieser Ansatz ist natürlich nicht auf jede Ausstellung übertragbar und wurde hier aus der inhaltlichen Idee entwickelt. Man kann aber immer kreativ sein und auch die Besuchenden aufmerksam machen auf Themen wie den Transport und was alles hinter den Kulissen notwendig ist, um eine Ausstellung zu realisieren.

Handschriftenlesesaal, Foto: Klassik Stiftung Weimar

Wie würde ein wirklich nachhaltiges Museum aussehen?

Da gibt es ganz viele Aspekte. Wichtig ist das sogenannte Mindset, die Lernbereitschaft und die Hinterfragung der eigenen Praxis, um nachhaltig zu sein. Ein nachhaltiges, grünes Museum wäre natürlich in gegenseitiger Wechselwirkung ein Akteur einer nachhaltigen Tourismusstrategie. Das Nachdenken über Shared Heritage oder Shared Ownership gehört ebenfalls dazu. Kann ein Museum mit einem anderen oder mehreren Häusern Dinge erwerben oder gemeinsam ausstellen, um Ressourcen zu sparen? Zentral ist es zu begreifen, dass Museen die Chance nutzen können, zu einer nachhaltigen Zukunft beizutragen. Nachhaltigkeitsmanagement ist hier auch ein Instrument der Führung, es geht um den Abbau von Barrieren und darum, vom Wissen ins Handeln zu kommen. Die Messung der Wirkung ist ein weiterer wichtiger Punkt, genauso ein nachhaltiges Sammeln, bei dem man auch über das Entsammeln in einem moderaten Rahmen und mit einem vorgeschriebenen Prozedere nachdenken muss. Es braucht dazu kulturpolitische Unterstützung und eine entsprechende kulturpolitische Programmatik, die aktuell teilweise fehlt. Oft habe ich das Gefühl, die Museen sind da weiter als die Kulturpolitik. Dann können Museen wirklich einen Beitrag zur großen Transformation leisten, davon bin ich überzeugt.

Erlebnisportal Weimar, Foto: Klassik Stiftung Weimar

Vielen Dank...

dass Sie sich Zeit für unser Gespräch genommen haben. Wir wünschen Ihnen weiterhin viel Erfolg bei Ihrem Einsatz für Nachhaltigkeit an Museen!